Donnerstag, 20. November 2008

Walter Steinmeier in Indien





"Indien und Deutschland sind strategische Partner" - Interview mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in der Times of India, 20. November 2008

Was ist der Zweck Ihrer ersten Indienreise?
Indien und Deutschland sind strategische Partner und das weit über die starken Wirtschaftsbeziehungen hinaus. Ich möchte vor allem den engen Dialog über wichtige globale Fragen fortsetzen, zu deren Lösung Indien und Deutschland gemeinsam beitragen können – vom Klimaschutz über die Reform der Vereinten Nationen bis zur internationalen Finanzarchitektur.
Wir wollen darüber hinaus darüber beraten, über welche Möglichkeiten wir verfügen, unsere Unterstützung bei der Stabilisierung der Region Südasien und seiner Konfliktherde zu verstärken.
Und wir wollen auch bilateral noch viel erreichen. Deutschland baut dazu seine Präsenz in Indien gezielt aus, beispielsweise im Wirtschafts- und Wissenschaftsbereich. Besonders freue ich mich, dass ich morgen das neue deutsche Generalkonsulat in Bangalore eröffnen werde – übrigens das erste in der Stadt!
Ist die deutsche Außenpolitik in Asien zu sehr auf China ausgerichtet? Immerhin ist dies Ihr erster Besuch in Indien seit drei Jahren, während Sie im gleichen Zeitraum mehrmals nach China gereist sind.
Wir wiegen unsere Freunde und Partner nicht gegeneinander auf, auch nicht auf dem Feld der Besuchsdiplomatie. Die Zahl deutscher Ministerdelegationen nach Indien ist weltweit mit die höchste. Und ich freue mich, dass es nun endlich gelungen ist, den lange geplanten Indienbesuch des Außenministers durchzuführen. Er findet in Erwiderung eines Besuchs meines indischen Kollegen Mukherjee in Deutschland während der deutschen EU- und G8-Präsidentschaft im vergangenen Jahr statt.
Die indische Regierung weiß zudem, dass ich persönlich schon seit Jahren dafür werbe, Indien auch global seiner Bedeutung entsprechend stärker einzubinden – so dass sich weitere Chancen ergeben, uns abzustimmen.
Deutschland spielte eine sehr wichtige Rolle, als es vor wenigen Monaten darum ging, die Zustimmung der Gruppe der Nuklearlieferländer zum Abkommen zwischen Indien und den USA über nukleare Zusammenarbeit zu erlangen. Warum haben Sie sich dafür eingesetzt? Erwarten Sie, dass Deutschland und Indien Nuklearhandel betreiben werden oder dass die Bundesrepublik Dual Use-Technologie an Indien verkaufen wird?
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung sind für mein Land von größter Bedeutung. Und ich persönlich bin überzeugt: Nie war die Frage der Nichtverbreitung dringender als heute!
Bei der Beurteilung des US-Indischen Nuklearabkommens haben wir uns sehr stark an dessen Einschätzung durch den Generaldirektor der IAEO, Herrn El Baradei orientiert. Wie er sehen wir einen Fortschritt für die Nichtverbreitung darin, dass Indien bereit ist, das IAEO Safeguards-Abkommen zu zeichnen und die exportkontrollpolitischen Standards der NSG übernehmen will. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung!
Deutschland hat Truppen in Afghanistan stationiert, aber suchen Sie nach Wegen, um sie abzuziehen? Welchen Standpunkt vertreten Sie im Hinblick auf die Aussöhnung mit den Taliban?
Ziel des Einsatzes deutscher Streitkräfte in Afghanistan ist es, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass der Wiederaufbau in Afghanistan voranschreiten kann. Dabei ist wesentlich, dass die afghanischen Partner schrittweise mehr Eigenverantwortung übernehmen. Deshalb misst Deutschland dem Aufbau afghanischer Sicherheitsorgane höchsten Stellenwert bei. In dem Maße, in den die afghanische Regierung selbst in der Lage ist, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen, kann die internationale Truppenpräsenz schrittweise reduziert, dann beendet werden.
Um Fortschritt in diese Richtung zu beschleunigen hat Deutschland gerade 1000 zusätzliche Soldaten entsandt und sein Entwicklungsbudget allein in diesem Jahr nochmals um 70% erhöht.
Was den Dialog mit Oppositionellen angeht: Wir sind dankbar, dass die afghanische Regierung klar gemacht hat, dass Versöhnung nur auf Basis der bestehenden Verfassung möglich ist und dass die Taliban, als Voraussetzung für ernsthafte Verhandlungen, jeglicher Gewaltanwendung abschwören müssen. Ich warne deshalb, Gesprächsbereitschaft als Zeichen der Schwäche misszuverstehen!
Deutschland und Indien beteiligen sich an der G4-Initiative zur Reform des VN-Sicherheitsrats. Aber stimmt es, dass Deutschland sich in den vergangenen Monaten nicht mehr so stark für diese Initiative engagiert hat, da es schwierig werden könnte, einen Sitz für ein zweites europäisches Land im Sicherheitsrat zu erwirken? Haben Sie irgendwelche Vorschläge, um der G4-Initiative neue Impulse zu geben?

Mein Land bekennt sich ausdrücklich weiterhin zum gemeinsamen Vorgehen im G4-Kreis, denn das Grundproblem bleibt: Der VN-Sicherheitsrat spiegelt in seiner heutigen Zusammensetzung die Welt von 1945 wider. Um aber mit größtmöglicher Autorität agieren zu können, müssen die wichtigsten Länder des Südens und diejenigen, die die größten Beiträge zu leisten imstande sind, vertreten seien. Ich kenne auch niemanden, der diese Notwendigkeit in Zweifel zieht – außer vielleicht aus taktischen Gründen. Aber Taktik ist nicht die Antwort auf globale Herausforderungen.
Daher bin ich überzeugt, dass wir unsere enge Zusammenarbeit im G4-Rahmen fortsetzen müssen. Sie war bisher durchaus erfolgreich: Wir haben unverändert den einzigen mehrheitsfähigen Vorschlag vorgelegt und werden weiter für eine Mehrheit werben. Weiterentwicklungen schließe ich aber nicht aus. Ich finde es ermutigend, dass die Verhandlungen in New York derzeit wieder einen gewissen Schwung aufnehmen, auch wenn uns klar ist, dass noch viel Arbeit vor uns liegt.
Welche Auffassung vertritt Deutschland im Hinblick auf die Lösung der gegenwärtigen Finanzkrise?
Die aktuelle Krise unterstreicht die Notwendigkeit, auch auf internationaler Ebene die Rahmenbedingungen für stabile und transparente Finanzmärkte zu verbessern. Dabei müssen vor allem jene Finanzakteure und Finanzprodukte erfasst werden, die bisher ungenügend reguliert oder beaufsichtigt sind.
Ich sehe die gegenwärtige Krise als Chance für eine Verbesserung der „governance“ in der internationalen Finanzwirtschaft insgesamt. Dabei sollte künftig der IWF gemeinsam mit dem Financial Stability Forum bei der Risikoanalyse, der Überwachung der Systemstabilität und dem Aufbau eines Frühwarnsystems maßgeblichen Einfluss erhalten.
Bei Treffen der G20-Staatschefs in Washington am vergangenen Wochenende wurden die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Jetzt wird es darauf ankommen, die dort getroffenen Grundsatzentscheidungen mit verbindlicher Substanz zu füllen.
Könnte Indien hierbei eine Rolle übernehmen und wenn ja, welche? Wie steht der Westen den verstärkten Bestrebungen Indiens und Chinas gegenüber, im globalen Finanzsystem eine Managementfunktion zu übernehmen?
Ich habe von Anfang an dafür plädiert, bei der Bewältigung der Finanzmarktkrise wichtige global players wie Indien einzubeziehen. Deshalb finde ich es richtig, dass der Weltfinanzgipfel in Washington im G20-Format stattfand.
In einem zweiten Schritt wird es darum gehen, über das akute Krisenmanagement hinaus mit allen heute relevanten global actors über die neuen Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft insgesamt zu diskutieren. Auch deshalb bin ich der Auffassung, dass nur in einer dauerhaften Erweiterung des G8-Formats das Format der Zukunft liegen kann.
Und lassen Sie mich hinzufügen: Auch ein rascher Abschluss der WTO-Doha-Runde wäre wichtiger Impuls für die Weltkonjunktur. Wir sollten uns deshalb mit Nachdruck für eine zügige Einigung auf Kernmodalitäten in den Bereichen Landwirtschaft und Industriegüter einsetzen.
Ich bin zuversichtlich, dass Indien seinem wachsenden Gewicht in der Welt auch mehr Verantwortung für die Gestaltung der Rahmenbedingungen übernehmen wird.
Das deutsche "Green Card"-System war kein Erfolg. Denken Sie über andere Wege nach, Anreize für indische Fachkräfte zu schaffen, nach Deutschland zu gehen?
Die deutsche "Green Card" für ausländische IT-Spezialisten ist ein durchaus erfolgreicher Beitrag gewesen, um unseren zusätzlichen Arbeitskräftebedarf in diesem Bereich zu decken. Bei der Einführung der Regelung benötigten wir dringend etwa 20.000 IT-Fachkräfte. Diesen Bedarf haben wir zu rund 90 % decken können: Bis zum Ende der "Green Card"-Regelung sind fast 18.000 Spezialisten zu uns nach Deutschland gekommen.
Ein positiver Begleiteffekt ist, dass in den deutschen Unternehmen, in denen die ausländischen Fachkräfte beschäftigt worden sind, im Durchschnitt 2,5 weitere Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. Inzwischen haben wir eine dauerhafte Nachfolgeregelung geschaffen, die dafür sorgt, dass Deutschland -auch für Fachkräfte aus Indien- einer der weltweit attraktivsten Arbeitsmärkte bleibt!

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